Wenn es um die Rückkehr in die Unternehmensbüros geht, wird sehr schnell und zuverlässig auf die Kreativität als maßgebendes Kriterium hingewiesen: „Kreativ können die Mitarbeitenden eben nur zusammen sein“. Das ist oftmals richtig, aber „Büro“ fehlt in diesem Satz nicht zufällig: Kreativität ist an keinen Ort gebunden und braucht erst recht keine Büros.
Die Debatte um die Rückkehr der Mitarbeitenden in die Unternehmenszentralen ist geprägt von Scheinargumenten, die die tatsächlichen Gründe wirkungsvoll verschleiern. Das in meiner Wahrnehmung stärkste Argument ist das der Kreativität. Nur wenn die Mitarbeitenden zusammenkommen können, würde sich deren Kreativität vollständig entwickeln und sich gegenseitig befeuern.
Doch ist das wirklich so?
➡️ Ich arbeite 90 Prozent meiner Arbeitszeit alleine – bin ich deshalb weniger oder womöglich gar nicht kreativ?
➡️ Ich arbeite mehr als 90 Prozent meiner Arbeitszeit digital vernetzt im Home-Office – auch hier stellt sich die Frage, ob das meiner Kreativität schadet.
Schauen wir einmal etwas genauer auf diese Punkte.
Geht Kreativität nur im Team?
Bei der Suche nach einer passenden Bebilderung zu diesem Blogbeitrag suchte ich nach Bildern, die mit Schlagwörtern wie „Kreativität“ oder „Creativity“ versehen wurden. Interessanterweise wurden mir so gut wie keine Bilder mit Personengruppen angezeigt, sondern fast ausschließlich Abstraktionen oder Einzelpersonen, die sich mit kreativen Dingen beschäftigten. Okay, das heißt noch nichts, kann auch Zufall sein.
Der so oft angeführte Austausch mit den Kolleg:innen ist aber doch sicher eine wichtige Komponente für Team-Kreativität? Mal schauen: Wie oft ging es denn bei den letzten 10 Gesprächen mit Kolleg:innen tatsächlich um kreative Themen? Und wie oft ging es um einfache Absprachen für den aktuellen Workflow? Und welche dieser Absprachen lassen sich nicht digital über ein Kollaborationstool abbilden? Voraussetzung dafür ist natürlich, dass ein solches Tool zur Verfügung steht.
Sollen Absprachen stattdessen über E-Mail getroffen werden, ist das weder sinnvoll noch hat es irgendetwas mit Modern Work zu tun: Die erste E-Mail wurde im Oktober 1971 verschickt. Da dürfte es kaum verwundern, dass sie den Anforderungen der modernen Arbeitswelt nicht mehr ganz gewachsen ist. Virtuelle Meetings sind da auch nur bedingt hilfreich, aber das ist ein eigenständiges Thema. Viel besser geeignet sind dagegen Tools wie Slack oder Microsoft Teams, die über die Pandemie hinaus den Weg zu einer neuen Art der Arbeit ebnen.
Damit das gelingen kann, sollten wir ein solches Werkzeug zur Zusammenarbeit im Team nicht etwa als Krücke begreifen, mit der wir mehr schlecht als recht durch die Phase der Pandemie humpeln müssen, sondern als digitale Entsprechung eines Büros. Erst dann erkennen wir die neuen Möglichkeiten und können sie effektiv, produktiv und ja, auch kreativ einsetzen.
Die Vorteile digitaler Kollaboration

Folgende Vorteile habe ich dabei im Kopf:
Asynchrone Kommunikation: Wir sind nicht darauf angewiesen, dass eine Kollegin oder ein Kollege genau in dem Moment Zeit für uns hat, wenn wir etwas klären möchten. Andersherum reißt mich auch niemand aus meinem Flow, wenn ich eine Frage beantworten soll.
Integrierte Kommunikation: Mit einem Kollaborationstool lassen sich alle an einem Projekt beteiligten Personen an einen digitalen Ort versammeln – ganz gleich, ob sie am gleichen Standort arbeiten oder vielleicht sogar eine externe Rolle einnehmen. Somit lässt sich doppelte Kommunikation sehr leicht vermeiden und Absprachen beschleunigen.
Kreativität ohne zeitliche Grenzen: Brainstorming kann ein mächtiges Instrument für kreative Prozesse sein, doch uns allen ist bestimmt schon mal ein wirklich guter Gedanke erst lange nach dem Meeting in den Kopf geschossen. Ist das Brainstorming dann auf einen Ort und eine Zeit begrenzt, bleibt dieser Kreativimpuls häufig ohne Wirkung. Das kommt auch deshalb nicht selten vor, weil es unterschiedliche Kreativtypen gibt und Kreativität auf Knopfdruck selten perfekt funktioniert.
Transparenz und Working-Out-Loud: Die Arbeit von Kolleg:innen kann nicht nur interessant und inspirierend sein, sie ist auch in der Lage ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Im Büro bilden sich aber schnell Silos, aus denen kaum einmal etwas nach außen dringt. Wir gehen schließlich nicht einfach ins Nachbarbüro und rufen dort in die Runde, an welchen Projekten wir gerade arbeiten. Dafür gehen wir gerne mit den immer gleichen Personen zum Mittag und tauschen uns nur mit ihnen aus. Mit einer digitalen Kollaborationsplattform und der geeigneten Unternehmenskultur lassen sich diese analogen Kommunikationsinseln sehr einfach vermeiden. Ein #WOL-Kanal ist schnell aufgesetzt und bietet Einblicke in die Arbeit aller Mitarbeitenden. Vielleicht entstehen dabei sogar neue Ideen und Anregungen, um gemeinsam noch innovativer zu werden.
Kommunikation auf Augenhöhe: In der Präsenz-Kommunikation von Gruppen lassen sich oftmals unterschiedliche Typen erkennen. Es gibt einerseits sehr extrovertierte Personen, die Gespräche schnell an sich reißen und sie mit ihrer Präsenz beinahe erdrücken. Und es gibt die eher stillen Personen, die in größeren Runden kaum einmal aus sich herauskommen. Die Art und Weise, wie jemand auftritt oder wie viel jemand kommuniziert, hat allerdings nur sehr selten etwas mit der Qualität der Kommunikation zu tun. Die volle Bandbreite der Schwarmkreativität können Unternehmen nur mit einer integrativen Kommunikation ausnutzen.
Geht Kreativität nur in Präsenz?
Natürlich ist es sehr menschlich, dass sich persönliche Gespräche und der arbeitsrelevante Austausch in Präsenz einfach gut anfühlen. Wir sind es seit vielen Jahren so gewohnt und möchten das auch nicht aufgeben. Aber ist es wirklich so wichtig für unsere Arbeit? Funktionieren wir nur als Präsenzteam? Oder könnte es sogar sein, dass wir effektiver, produktiver und sogar kreativer arbeiten, wenn wir für uns sind? Das Gespräch an der Kaffeemaschine ist in aller Regel weder besonders kreativ noch fördert es die Produktivität, aber es bedient eben das menschliche Grundbedürfnis nach Kommunikation. Und manchmal ist es auch nur eine willkommene Ablenkung von unserer tristen Arbeitswirklichkeit, oder?
Gewohnheiten spielen hier eine wichtige Rolle, sie sind aber kein valides Argument. Gewohnheiten sind antrainiert und lassen sich auch verändern. Das ist nicht immer einfach und oft genug auch unangenehm, aber auf jeden Fall möglich. Und so unangenehm es sich zunächst anfühlt, so befremdlich wirkt eine alte Gewohnheit, wenn man sie erst durch eine neue ersetzt hat.
Meine persönliche Erfahrung: Ich arbeite seit vielen Jahren in wechselnden Projektteams mit einem hohen Kreativanteil als Konstante. Dabei erledige ich den Großteil für mich alleine in meinem Home Office. Dennoch bin ich ein absoluter Teamplayer und interagiere intensiv mit meinen Projektpartner:innen. Contentarbeit ist einfach in mehrfacher Hinsicht eine Teamaufgabe, beispielsweise wenn es um Feedback oder um Enabling geht.
Für mich ist es allerdings ganz normal, solche Interaktionen über moderne Kollaborationstools zu führen. Selbst das gute alte Telefon habe ich fast vollständig aus meinem Arbeitsalltag verbannt, weil es als synchrone Kommunikation selten für beide Seiten passt.
Im Team zu arbeiten bedeutet für mich vor allem, auch den anderen den nötigen Raum zu geben, sie zu unterstützen, aber sie nicht permanent aus ihren „Flows“ zu zerren, nur weil ich eine Frage habe oder mir nach Aufmerksamkeit ist.
Genau durch diesen Freiraum und den dadurch möglichen „Flows“ entsteht für mich produktive Kreativität. Ich selbst bin am kreativsten, wenn ich Mind Wandering betreibe. Über dieses Gegenteil von fokussiertem Denken werde ich mich in einem zukünftigen Blogbeitrag noch näher auslassen, an dieser Stelle nur so viel: In einer ruhigen Atmosphäre lässt man seine Gedanken scheinbar ziellos umherwandern, um dabei auf Ideen zu stoßen, auf die wir mit aktivem, zielgerichtetem Nachdenken nicht kommen würden.
Geht das im Team? Eher nicht, auch wenn im gemeinsamen Brainstorming ausgelöste Assoziationen vielleicht einen ähnlichen Effekt haben.
Office-Befürworter:innen habe ich jetzt natürlich ein neues Argument geliefert: gemeinsames Brainstorming! Ja, das ist eine hervorragende Methode für Vorbereitung kreativer Arbeiten im Team, aber braucht es dafür das Büro?
Wie ist es denn bei uns selbst: Wann sind wir wirklich kreativ?
Das ist sicher auch eine Typfrage, aber für mich ist ein Tag im Großraumbüro eher ermüdet, weil ich meinen eigenen Gedanken keinen ausreichenden Raum geben konnte. Es ist nie wirklich ruhig, es sei denn, man schottet sich durch Musik über Kopfhörer ab. Und genau das Bild habe ich immer im Kopf, wenn ich an konzentriert arbeitende Menschen im Büro denke: Sie sind körperlich anwesend, schotten ihren Geist aber ab, wenn es wirklich um die Arbeit geht. Ist das wirklich die Präsenz, die so hoch bewertet wird?
Zugegeben, auch hier spielen Gewohnheiten wieder eine Rolle: Ich bin die ruhige Atmosphäre in meinem Home-Office gewohnt und ich komme daher mit einem Arbeitsort schlechter zurecht, an dem eigentlich immer irgendwelche Gespräche stattfinden. Andere brauchen vielleicht den Trubel und eine gewisse Geräuschkulisse, um in den Arbeitsmodus schalten zu können. Aber auch das ist eine Konditionierung, die sich aufbrechen und verändern lässt. So wie ich es wohl auch lernen könnte, im Großraumbüro einigermaßen zu funktionieren.
Doch noch einmal zurück zum kreativen Brainstorming als Teamaufgabe in Präsenz, das ja gerne als Killer-Argument für die Rückkehr ins Büro angeführt wird. In Kreativ-Workshops werden an dieser Stelle oft die bunten Zettel aus dem Moderationskoffer geholt und alle Teilnehmenden sollen darauf ihre Gedanken zu bestimmten Fragestellungen schreiben. Anschließend werden sie an eine Präsentationswand geheftet, (aus-)sortiert und diskutiert.

Auch das geht mittlerweile ganz hervorragend digital, wenn man gewillt ist, diesen Kreativprozess aus seinen Präsenzfesseln zu lösen. Tools wie Mural oder Miro benötigen zwar etwas Einarbeitungszeit, aber die liegt vor allem aufseiten der Moderation. Gut vorbereitet, sind digitale Brainstormings durchaus eine gute Alternative. Spätestens bei der Nachbereitung der Ergebnisse wird die Vorbereitungszeit schnell wieder reingeholt, denn es ist alles schon digital und muss nicht von den obligatorischen Flipchat-Fotos übertragen werden.
Fazit: Digitale Kreativität braucht neue Rahmenbedingungen
Kreativität kann sowohl in Präsenz als auch digital sehr gut funktionieren, doch es braucht dafür unterschiedliche Rahmenbedingungen und Einstellungen. Genau dieser Aspekt wird aber allzu oft vernachlässigt. Wie in vielen anderen Bereichen auch stecken wir noch zu fest in den analogen Denkmustern und übertragen sie einfach ins Digitale. Stattdessen sollten wir uns von den Präsenzfesseln befreien und intensiv überlegen, was nötig ist, um auch digital und remote kreativ sein zu können.
Die eine oder andere Anregung habe ich hier hoffentlich geben können. Ich freue mich aber auch sehr über weiter kreative Ideen…
Während meiner Ausbildung in einer großen Mediaagentur ist mir das Phänomen bei Kunden häufiger über den Weg gelaufen, dass analoge Denkmuster 1:1 ins Digitale übertragen werden, wie Du es so schön am Ende zusammengefasst hast.
Dann war trotz meines vehementen, mehrfachen Abratens die Überraschung groß, dass die Kampagnen nicht den Ressourceneinsatz eingespielt haben.
Langfristig gesehen, sind wir aber zumindest aus meiner Efahrung heruas auf einem guten Wege, dass sich Digitale Denkmuster etablieren. Es gibt immer mehr Kunden, die sich selbst gut einschätzen können und unsere Empfehlungen eher vorziehen, da wir nun mal mehr Expertise haben. 🙂